Hillbilly´s Mountain

Bad day, bad pictures?

 
Schlecht gelaunt aufzuwachen zwingt einen zur Entscheidung:
 
a) alle Pläne fallen lassen und sich später ärgern, alle Pläne fallen gelassen zu haben und damit einen kompletten Tag den Gulli hinunter gespült zu haben.
b) murrend, ungeduldig und böse Blicke um sich werfend trotzdem zu tun, was man sich vorgenommen hat.
 
Für Variante b) haben wir einen Spezialisten im Haus, der zufällig auch der Spezialist für Nassplattenfotografie ist und sich für den heutigen Tag vorgenommen hatte mindestens 1 Landschaftsfoto in den sprichwörtlichen Kasten zu bringen. Als Assistentin bin ich an schlechte Launen gewöhnt (die von ihm und meine eigenen) und weiß daher damit umzugehen, d.h. sie zu ignorieren, Flüche, böse Blicke usw. nicht persönlich zu nehmen (weder seine, noch meine) und einfach davon auszugehen, dass die dunklen Psychowolken irgendwann wieder verschwinden.
 
Es war ein wunderschöner Herbsttag mit Sonnenschein, milden Temperaturen und bunten Blättern (perfekt also für Schwarzweißphotographie), den sich Peter für seine schlechte Laune ausgesucht hatte und wir starteten trotzdem die Aktion “Landschaftsfoto” – was in Franken der besonderen Herausforderung gleichkommt irgendwo etwas zu finden, das das Attribut Landschaft überhaupt verdient. Ich persönlich fotografiere bevorzugt (digital) genau das, was die hiesige Landschaft besonders kennzeichnet – Ackerflächen, angeschnittene Ackerflächen, Ackerflächen zu verschiedenen Jahreszeiten und in verschiedenen Lichtstimmungen.
Peter wollte aber nicht ganz so reduzierte Bilder produzieren und so haben wir uns für einen Standort oberhalb Königsbergs entschieden, in der der Nähe des Schafhofes, am Rande der langgestreckten Wälder (die als Kind von mir die “ewigen Wälder” genannt wurden, als ich noch nicht wusste, wie wenig Ewigkeit gerade einem Wald zuteil wird) und mit Blick auf eine seltene Reihe hoher Pappelbäume, die dort einen Weg säumen.
Ja, vielleicht ist es gut, dieses Motiv zu wählen und diese markante Baumreihe mit einem so aufwändig hergestellten Bild zu ehren, denn die Pappeln sind schon recht alt, groß und mächtig – und deshalb prima Holzlieferanten, wie es hier jeder- und ausnahmslos jeder – Baum ist, den man in unserer Gemeinde finden kann. Baum = Holz, evtl. auch Hackschnitzelholz, aber auf jeden Fall ein Fall zum Fällen und es ist eigentlich schon ein Wunder, dass diese Pappel-Bäume noch stehen, da ihr Stammdurchschnitt die 30 cm längst überschritten hat, über dem hier alles kurz und klein gehackt wird, was sich baumartig zu entfalten droht. (Man lasse sich von den üppig aussehenden Wäldern nicht täuschen – üppig sind sie nur von der Ferne, betritt man sie, findet man sich in einem Forst aus zahnstocherdünnen Jungbäumen wieder, aus dem alles geraubt wurde, was verwertbar ist).
 
Es ward also mit Mühe, Fantasie und genauer Ortskenntnis tatsächlich ein Stück Landschaft ausgemacht, das zu fotografieren es wert war und es folgten die üblichen Vorbereitungen.
Ehrlich gesagt, weiß ich nicht genau, was Peter alles vorbereitet, da ich mich aus dem Laborkram heraushalte – aber er hantiert meist eine Stunde herum, ehe es soweit ist und er daran geht, die nötigen Utensilien in die Laborkiste zu packen, plus alle weiteren nötigen Utensilien, was eine Liste von gefühlt 1999 verschiedenen, unabdinglichen, größeren und kleineren Dingen ergibt, welche alle und zwar ausnahmslos nötig sind um ein einziges, unscheinbares Bild auf Platte herzustellen. Wehe man vergisst etwas. Dann wird das nix mit dem Bild und man kann gleich wieder einpacken, nachdem man eine Stunde lang ausgepackt und aufgebaut hat, um schließlich zu merken, dass etwas fehlt (ist schon passiert – weil alles Schlechte, das passieren kann ja auch zuverlässig passiert, wohingegen alles Gute, das passieren könnte, leider niemals passiert – weshalb ich Gott für einen gewaltigen Schelm halte, der es faustiger hinter den Ohren hat als Goethes Faust persönlich!).
 
Also, wenn Peter soweit ist, braucht er mich (ausgerechnet), um die schwere Kiste die Atelierstufen hinab zu bugsieren und ins Auto zu hieven, wo sie auf den Millimeter genau hineinpasst. Ich glaube, ich habe mir bei dieser Aktion diesmal einen Lendenwirbel ausgerenkt – aber für ein Landschaftsfoto opfert man doch gerne den einen oder anderen Wirbel - ohne heroischen Aufopferungswillen wird es nämlich auch nichts mit dieser Sorte Fotografie (was ein Indiz dafür sein könnte, warum es so wenige Nassplattenfotografen gibt).
Wenn das dann geschafft ist, Laborkiste, Fahrradanhänger und Kamera ins Auto gequetscht sind und wir uns dazu gequetscht haben (dies ist keine Anspielung auf unsere Figur, sondern auf den mickrigen Wagen), kann es losgehen. Die Tage ab Herbst und bis Frühjahr bieten für Spätaufsteher ein Zeitfenster, das so kurz erscheint, wie die Lichtausbeute eines Kometen – also heißt es schnell sein, die Sonne rast, jede Minute ist kostbar.
 
Da Peter mit dem Aufbau des Labors bereits Routine hat, mische ich mich mit unprofessionellen Handgriffen nicht ein und nutze statt dessen die Gelegenheit, die Aktion und die umliegende Ausnahme-Landschaft digital-banal-fotografisch zu dokumentieren und den Hochlandrindern einen Besuch abzustatten, die in der Nähe (hinter Elektrozaun, aber sehr naturnah) bis zu ihrem gewaltsamen Tod friedlich grasen (muss man ja mal sagen dürfe, als Vegetarier).
 
Allen Zweifeln zum Trotz macht das Motiv etwas her. Der Rest ist bekannt, der gleiche Ablauf wie immer: Platte beschichten, sensibilisieren, belichten – hoffen – und entwickeln. Dann das Ergebnis beäugen, beurteilen, besprechen, wieder beäugen und nach dreimaligem Wässern trocknen.
Ich finde das Bild super. Peter zweifelt. Ich finde es immer noch super. Peter prüft. Ich bin sicher, dass es super ist. Peter stimmt vorsichtig zu. Ein super Bild!
 
Weil Nr. 1 also gut geworden ist und die Sonne noch immer über dem Horizont steht (wenn auch schon bedrohlich tief) entscheiden wir uns für ein zweites Motiv – etwas gewagtes, etwas irrwitziges, etwas, das eigentlich unmöglich ist: die Hochlandrinder. Bewegliche Objekte also. Zu dem Zeitpunkt meiner Beobachtung bewegten sie sich nur mäßig, beinahe nur die Köpfe, indem sie Gras zuerst rupften und dann gemächlich kauten. Man könnte ja Glück haben und sie blieben so, dachte ich, dann könnte es klappen, dann hätten wir tatsächlich ein Foto von diesen urigen Viechern mit ihrem zotteligen Fell, den großen, glupschigen Augen und den riesigen feuchten Nasen mit denen sie Spaziergänger von der Ferne laut schnuppern auf den Besitz von Äpfeln hin prüfen.
Ich hatte keine Äpfel dabei, also bleiben die Tiere grasend stehen wo sie waren und wir postierten die Kamera. Während Peter im Labor zum Vorbereiten der Platte verwand, war es mein Part die Tiere im Visier zu behalten, die Kamera bei Bedarf nachzuführen und erneut scharf zu stellen, wenn der entscheidende Moment näher rückte. Als der Moment näher rückte, rückte jedoch auch etwas anders näher, die Tiere hatten sich in Bewegung gesetzt und trotteten langsam über die Wiese. Gnadenlos führte ich die Kamera nach, aber es half nichts, die Sekunden, in der Platte belichtet werden muss sind gezählte – also komme was wolle wurde die Platte aufgesetzt und der Objektivdeckel gelüftet – Tiere hin oder her, Bild ist Bild.
Was soll man sagen – ein bewegliches Objekt bewegt sich mitunter und so haben wir ein bewegtes Bild – und ich muss sagen – ich finde es super! Gerade, weil wir es so nicht gemacht hätten – die Tiere nicht hübsch mittig, sondern aus dem Bild laufend, der eine Rinderkopf abgeschnitten, der andere aus der Bewegung heraus in Unschärfe getaucht.
Spannend! Und so konsequent authentisch wie das wahre Leben eben ist – besonders das eines Fotografen der sich der Technik des 19. Jahrhunderts bedient. Selbst schuld – aber wer hat schon solche Ergebnisse? Mühsame der Technik, der Natur und dem launigen Moment abgetrotzte Aufnahmen eines unbedeutenden Augenblicks, der dadurch in die Zeitgeschichte eingeht und seine eigene, eigensinnige Bedeutung gewinnt – das ist Nassplattenfotografie.
 
Was wird als Ernte der Anstrengungen (die schlechte Laune zu überwinden) nach Hause bringen durften, sind diesmal übrigens keine Ambrotypien (obwohl auf Glas) sondern Negative (was durch eine andere Handhabung im chemischen Prozess und eine längere Belichtung erreicht wird), denn Peter möchte davon Abzüge machen und dafür verschiedene historische Techniken zur Anwendung bringen.
Mehr darüber in unserem Blog, wenn es geklappt hat....
 
Fazit: Bad day, good pictures! 😉

 

Aufbau
Aufbau der Dunkelkammer
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Wenn Chemie, Entwicklerschalen und all der nötige Kleinkram aus der Kiste augeräumt sind, kann der Zwischenboden eingelegt werden, der im Labor als Arbeitsfläche dient.
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Silbernitratlösung und Fixierbad werden in die Plexiglasgefäße gefüllt.
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Wenn das schwarze, Tuch lichtdicht über dem Labor angebracht und alles eingeräumt ist, kann es losgehen.
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Blick in die andere Richtung mit unserem Auto und der Kamera.
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Wenn das Motiv gefunden, die Kamera eingerichtet und scharfgestellt wurde, kann die Platte beschichtet werden. Für ein Nassplatten-Negativ wird eine Glasplatte gebraucht und zuerst - wie immer - mit Collodium übergossen.
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Der Entwickler steht auch schon bereit, da er sofort gebraucht wird, wenn die belichtete Platte im Labor aus dem Plattenhalter geholt wird.
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Der Plattenhalter mit der jetzt lichtempfindlichen Platte wird auf die Kamerarückseite aufgesetzt, die Trennwand hochgeschoben und der Objektivdeckel für die Belichtung gelüftet.
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Das Glasnegativ im Fixierbad.
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Das Glasbild in der Wässerungsschale - die Landschaft ist eingefangen...
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Gelegentlich liegt ein leichter Silberschleier über dem Bild, der noch im Wasserbad durch sanftes Reiben entfernt wird.
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Das fertige Glas-Negativ wird nach dem 3. Wasserwechseln zum Trocknen herausgenommen.
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Kontrolle des Bildes vor einem schwarzen Hintergrund. Perfekt! Für ein Glas-Negativ muss die Silberschicht dichter sein als für eine Ambrotypie.
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Und hier nochmal - im Durchlicht vor dem wunderschönen blauen Himmel.
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Nach dem Einscannen lässt sich das Bild mittels Photoshop schonmal invertieren, so dass wir erahnen können, wie ein damit angefertigter Abzug aussehen könnte. Je nachdem mit welchem Verfahren ein Abzug vom Glasnegativ hergestellt wird, würden die Farben dann abweichen und Eigenheiten des Papiers könnten dem Bild eine weitere charakteristische Note verleihen. Wir sind gespannt darauf, dies auszuprobieren!
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Das zweite Glas-Negativ für heute - dann ist die Sonne weg und wir müssen einpacken.
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Eine Stunde für den Aufbau, zwei Stunden für zwei Bilder, eine weitere Stunde für das Reinigen der Utensilien und das Einpacken. Man wird bescheiden, was die Masse der Produktion betrifft und ist glücklich, wenn alles geklappt hat und man tatsächlich zwei Bilder mit nach Hause nehmen kann.

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