Ich sage nur „Vorführeffekt“!
WIE LANGE haben wir (d.h. hauptsächlich Peter) geforscht, gegrübelt, Rezepte gesammelt, Zutaten bestellt, Material vorbereitet und GEÜBT (mit schließlich passablen Ergebnissen) – und dann: Vorführeffekt!
Musste ja so kommen! Dabei waren wir ja gewarnt von den Schriften der ganz hart gesottenen Grundlagenforscher und unerschrockenen Wegbereiter und zumindest schon theoretisch im Vorfeld aufgeklärt über die vielen Fehlerquellen und Stolpersteine, über die auch die Altvorderen schon reihenweise mit mindestens psychischen Blessuren rübergekrochen sind, auf dem steinigen Weg zum nein! nicht perfekten! sondern wenigstens gelungenen Bild.
Nicht umsonst heißt es, es ist wahrscheinlicher kein Bild hinzukriegen, als überhaupt eines. Aber wir haben geglaubt, wir hätten die Sache schon im Griff – schließlich hatten wir alles haarklein ausgetüftelt und waren auch brav immer ganz nah am Originalprozess geblieben, hatten auch bereits ein paar passable Ergebnisse erzielt – und dann – an unserem allerersten Tintype-Sunday – am Weihnachtsmarktsonntag und unserem Tag der offenen Tür – als wir mit stolzgeschwellter Brust Besuchern und Freunden unser Können vor Augen führen wollten, da schlug er zu der VOHRFÜHREFFEKT!
Der erste Versuch eine Ambrotypie einer hinreißend schönen Kundin anzufertigen gelang… bis auf ein großes Loch im Bild mitten auf ihrem Hals…
Wenn man die gutwillige Interpretation eines Wurmlochs in eine andere Dimension beiseite lässt, ist das nicht schön – nein schön ist das nicht. Keine Frage, der Versuch musste wiederholt werden. Komischerweise wollten die Dimensionslöcher mitnichten verschwinden, sondern vermehrten sich auf der zweiten Platte noch – trotz gewissenhaftester Reinigung der Glasplatte (mit in reinem Alkohol gelöster Schlämmkreide, allerbestes Rezept zur entfettenden super effektiven Reinigung) , trotz allerperfektester Beschichtung mit der Kollodium/Äther-Mischung und adleraugenscharfer Zwischenkontrolle nach dem Silbernitratbad.
WIEDER Löcher – Löcher!
Woher, warum?
Es folgten Fachsimpeleien mit einem zufällig anwesenden Restaurator (Materialfachmann für alles diesseits der Stratosphäre) und einem Maschinenbauingenieur (plus Schreinererfahrung) und einem Mediziner (Äthergeprüft), man erwog Verunreinigung der Glases mit festtlöseresistentem Kontaminierungsmaterial… beispielsweise Spuren von Silikon, die, wer weiß wie, auf dem neu erstandene Glas vorhanden sein könnten, unsichtbar, aber tückisch. Oder waren es einfach die grenzwertigen Temperaturunterschiede zwischen außen (wir beschichten die Platten an der freien Luft, um unseren Kunden eine unfreiwillige Dröhnung Äther zu ersparen), die zu einer störenden Ansammlung von Kondenswasser auf der Platte führten?
NEU gekautes Glas! Könnte es wirklich sein, dass die neu gekauften Gläser aus dem Baumarkt sich anders verhielten, als die selben gekauften Gläser aus einem anderen Baumarkt und die sich wieder anders, als das alte gebrauchte Glas aus recycelten Ramen, das wir bisher (selbst zugeschnitten) höchst erfolgreich verwendet hatten?
Das Debakel am Weihnachtsmarktsonntag sollte aber noch nicht der Höhepunkt der Pannenserie sein, sondern nur die Vorhölle. Die Folter ließ sich noch steigern in dem sich (bei den anschließenden Versuchen im stillen Kämmerlein) die Bilder schon im Fixierbad von der Glasoberfläche lösten, um sich schwimmend gänzlich von hinnen zu machen.
Da hatten wir ihn nun, den maximalen Supergau der Nassplattenfotografie, den Nullpunkt unserer Hoffnungen und die gerechte Strafe für unseren verfrühten das-kriegen-wir-schon-hin-Habitus.
Hochmut kommt vor dem Fall, aber Liegenbleiben kommt erst in Frage, wenn 50 cm Erde mit Grasbewuchs über uns das Wiederaufstehen erschweren…
Also hieß es, den Schock verdauen (was am besten mit einem verdauungsfördernden Kännchen Grüntee und einer beruhigenden heißen Schokolade in unserem Lieblingscafe funktioniert).
Noch im Abklingbecken unserer heiß geglühten Nerven folgten erneute Recherchen in Blogs und Foren und die Kapitulation vor einem Problem, das sich, so mussten wir feststellen, nur durch noch mehr arbeitsintensive Vorbereitungen und Zwischenschritte beseitigen ließ. Aber immerhin schien es überhaupt eine Lösung für das Problem zu geben. Abhilfe schuf ein altbewährtes Rezept aus den Anfangstagen der Fotografie, in dem man mit dem Problem von davon schwimmenden Bilderschichten offenbar durchaus vertraut war. Wir erfuhren, dass die Altvorderen ihre Glasplatten noch vor der eigentlichen Vorbereitung bereits mit Wechselbädern in Salzsäure und noch Schlimmeren malträtierten (wozu wir uns nicht wirklich durchringen können) aber der hilfreiche Trick besteht aus einer hauchdünnen Eiweißschicht, die noch vor der Beschichtung mit Kollodium auf die gereinigte Platte aufgetragen wird. Also noch ein weiteres Prozedere zwischen den Prozeduren mehr: ein Eiklar steif schlagen, mit Wasser verdünnen, den Schaum entfernen und den Rest mehrfach sorgsam mit Kaffeefiltern filtern, mit etwas Salmiakgeist versehen und im Kühlschrank runterkühlen.
Was soll ich sagen? ES HAT FUNKTIONIERT…
Die Welt kann sich wieder in gewohnter Ruhe drehen… und wir schaffen es nun Fotos ohne Wurmlöcher zu machen, dafür zuweilen mit ganz viel Sexappeal!